Reihe CineGraph Buch
Helga Belach, Wolfgang Jacobsen (Redaktion):Richard Oswald. Regisseur und Produzent
Selbstzeugnisse
Richard Oswald
Richard Oswald: um 1920
Selbstporträt
Aus: Hermann Treuner: Wir über uns selbst. Berlin: Sibyllen 1928.
Wenn ich vor hundert Jahren geboren wäre, würde ich logischerweise kein Filmregisseur geworden sein, sondern wahrscheinlich Löwenbändiger. Diese beiden Berufe haben eine sehr große Ähnlichkeit miteinander. Löwen zu bändigen ist beliebter als arme kleine Schäfchen zu dressieren. Ein Kollege von mir hat einmal unliebsames Aufsehen erregt, als er sagte: »Zuckerbrot und Peitsche sind die wirksamsten Dressurmittel.« Ich werde mich natürlich hüten, so etwas zu sagen, aber so ganz unrecht hat er nicht. Es ist nämlich ganz individuell, wie der Schauspieler behandelt werden muß. Ein wirklicher Künstler braucht natürlich keine Peitsche. Und auch das mit dem Zucker ist nur symbolisch gemeint. Das Teuerste beim Film ist die Zeit, und im Atelier darf nicht mehr debattiert werden. Der Schauspieler muß sich dem Regisseur, der natürlich Regisseur sein muß, unbedingt unterordnen.
Was der Regisseur braucht, sind künstlerische Persönlichkeiten. Aber Regisseur und Schauspieler müssen sich in harmonischer Weise ergänzen. Nur so kann ein Ganzes entstehen.
Was mich persönlich anbetrifft, bin ich Wiener, war jahrelang Schauspieler und bin seit dem 1. Januar 1914 beim Film. Der Film der nächsten Zeit ist meiner Ansicht nach der Film der Sensationen, der Persönlichkeiten und der Menschlichkeit. Voll Tempo muß die Handlung vorbeiwirbeln, doch mitten in diesen Bewegungen muß etwas stehen, was uns alle bis in die letzten Tiefen interessiert - der Mensch.
Film-Kritik
Aus: Film-Echo, Beilage zur Sonderausgabe des Berliner Lokal-Anzeigers, Nr. 13, 19.12.1921
Sie fragen mich, wer soll Filmkritiken schreiben? Am liebsten keiner, aber wenn, dann jemand, der den Film liebt, der die Institution des Films anerkennt, und nicht seine Kritik damit beginnt zu erörtern, ob der Film überhaupt eine Daseinsberechtigung hat.
Das Theater ist da, kein Kritiker wird an der Institution des Theaters rütteln, der Kritiker schreibt.
Der Film ist da. Kritiker schreibe, wenn - Du die nötige Voraussetzung hast, das ist umfassende Bildung, Kenntnis der Literatur, Wissen, und vor allem Beherrschung der Materie.
Nur der kann über eine Kunstgattung schreiben, der ziemlich alles, was in dieser Kunstgattung geschaffen worden ist, kennt. Es nützt dem Film gar nichts, wenn einmal jemand, der sich sonst nicht herabläßt, über den Film zu schreiben, in's Kino geht und seine Kritik unter den Strich bringt, es nützt uns gar nichts, der kann keinen Maßstab haben, er wird entweder zu gut oder zu schlecht schreiben. Zu gut, wenn er will, zu schlecht, wenn er nicht will. Er konnte die Kritik auch schreiben, bevor er den Film gesehen hat, denn ich glaube kaum, daß er durch die Besichtigung des Films sein Urteil ändert. -
Über den Film muß bei einer Zeitung immer derselbe schreiben, immer derselbe, der alle Filme sieht, der Vergleichsmöglichkeiten hat, der wohlwollend ist, wo es not tut, und abweisend, wo es auch not tut. Und vor allem soll nicht der über den Film schreiben, der dem Redakteur der Zeitung nicht gut genug ist, um über eine Vorstadtposse zu kritisieren.
Es muß entweder auf die Filmkritik ganz verzichtet werden, oder es muß ein Stamm von Filmkritikern erzogen werden. Die Filmkritik soll dazu da sein, ebenso wie die Theaterkritik (trotzdem Theater mit Film in anderen Dingen absolut nichts gemein hat), um dem Filmregisseur und Darsteller und sonst beteiligten Künstler zu sagen, was er gut gemacht hat und was er besser machen sollte.
Die Filmkunst zu fördern, dazu soll die Filmkritik da sein, zu nichts anderem. Es ist nicht der Zweck der Filmkritik, persönlichen Freund- und Feindschaften zu huldigen, ebenso wenig, das Publikum aufzuklären, ob es sich einen Film ansehen soll oder nicht, denn die beste Kritik und die schlechteste Kritik nützt und schadet einem Film merkwürdig wenig. Das Geschäft eines Filmes ist da, wenn das Geschäft im Film liegt, und wenn die Kritik den Film bis auf den Grund verdammen würde, und in den Film, in welchem kein Geschäft liegt, ist bei den jubelndsten Kritiken das Publikum nicht hineinzubringen.
Es ist möglich, daß eine verschwindende Anzahl von Menschen, denn beim internationalen Film sind hunderttausend eine verschwindende Anzahl, durch eine gute Kritik bewogen werden, einen Film anzusehen und durch schlechte Kritiken davon abgehalten werden. Wir wollen aber untersuchen, wieviel Personen ein Theaterstück, und wieviel Personen einen Film sehen. Ein Theaterstück, welches in Deutschland einen großen Erfolg hat, wird höchstens, aber allerhöchstens, von einer Million Menschen in Deutschland gesehen; ein Film, der einen großen Erfolg hat, mindestens von fünf Millionen. Eine Operette, die z.B. in Berlin 300 mal gespielt wird, wird an diesen 300 Abenden, vorausgesetzt, daß das Theater täglich ausverkauft ist, was man jedoch nicht annehmen kann, von 500000 Menschen gesehen. Es ist leicht auszurechnen, daß man für das übrige Deutschland noch 500000 Menschen annehmen kann, so daß die Rechnung reichlich ist. Ein Film, der einen internationalen Erfolg hat, wird bestimmt im Laufe der Zeit von ca. 50 Millionen Menschen gesehen. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, daß ein Theaterstück von 5 Millionen Menschen gesehen wird. Das liegt vor allem an dem Kunstgewerblichen des Films. Der Film ist einmal aufgenommen fertig und in der Lage, mit derselben Regie und mit derselben Besetzung durch die ganze Welt zu gehen. Das Theaterstück muß überall neu einstudiert und neu besetzt werden. Ich halte es also für ganz ausgeschlossen, daß im großen Ganzen sowohl der Händler, als auch das Publikum durch gute Kritiken angeeifert und durch schlechte Kritiken abgehalten wird. Der Hauptzweck der Filmkritik ist demnach nur Förderung des Erzeugnisses für die nächsten Erzeugnisse. Wenn die Filmkritik diesen Zweck nicht erfüllen kann und will, dann ist sie wertlos, ja sogar schädigend, schädigend hauptsächlich deshalb, weil unlautere Elemente die Macht, die sie in Händen zu haben glauben, oft benutzen, um sich selbst oder anderen Vor- oder Nachteile zu verschaffen. Ein Film ist das Erzeugnis eines Kunsthandwerkes. Bei dem Film gehen Erfolg und Geschäft Hand in Hand. Wenn ein guter Film kein Geschäft macht, dann ist er kein guter Film, wenn ein schlechter Film ein Geschäft macht, dann ist er eben ein guter Film. Das Publikum in der Masse ist klug, instinktiv fühlt es die Qualität, und was bei der Masse des Publikums Anklang findet, muß irgendeine bessere Qualität haben.
Durch eine gehässige, zu unrecht schlechte Kritik ist natürlich nicht das Geschäft des Films kaputt zu machen, es kann nur der Ertrag des Geschäfts dem Produzenten weggenommen und dem Unterhändler zugeschoben werden. Wenn ein Film, der im Auslande ein großes Geschäft macht, mit noch zwei Filmen für sage und schreibe 750000 Mark nach Amerika verkauft wurde, was natürlich kein Geschäft bedeutet, so ist der Film ja doch ein Geschäft, nur eben nicht für den Erzeuger, sondern für die Unterhändler, und das ist bedauerlich.
Eine Kritik, die nicht absolut allen Anforderungen, die ich angeführt habe, entspricht, ist also in der Lage, den Künstler, der das Werk erzeugt hat, um seine Früchte zu bringen und anderen Leuten zuzuschieben. Sie kann also unter Umständen geschäftsschädigend wirken.
Also entweder die geforderte seriöse Kritik von unbeeinflußten Menschen geschrieben, die Liebe zum Film haben, alles gesehen und Vergleichsmöglichkeiten haben, oder, nachdem ich nicht glaube, daß eine genügende Anzahl solcher Menschen aufzutreiben ist - keine Kritik.
Dreharbeiten zu Dreyfus: Friedl Behn-Grund, Richard Oswald
Film-Erfolg und Film-Geschäft
Aus: Film-Kurier, Nr. 276, 18.12.1922
Es gibt sehr viele Filme, die einen großen Erfolg hatten, sämtliche Zeitungen schrieben begeisterte Artikel über diese Filmwerke, und sogar die Konkurrenz war begeistert. Nur einer war es nicht: der Käufer des Films und der Theaterbesitzer, der von dem Käufer den Film gemietet hatte. So glänzend der Film auch war, so künstlerisch - »Filmneuland«, wie der treffliche Kunst- und Filmkritiker des großen Morgenblattes so treffend bemerkte, »Das Beste, was seit langem geschaffen«, - das Publikum streikte. Alle Beteiligten sagten dann, der Film war zwar großartig, aber kein Geschäft. Wir wollen nun versuchen zu untersuchen, warum dieser Film, der doch offenbar ein großer Erfolg war, von dem doch alle so begeistert waren und behaupteten, er wäre viel besser als alle anderen Filme, warum dieser Film das Publikum so gar nicht anzog und wie sehr die Macht der Presse in Gestalt der Filmkritik so absolut keine Macht war. Der Film war ganz einfach nicht populär, die Idee des Films, die Aufmachung des Films interessierte nicht die Masse, und die Masse muß ein Film, der Anspruch darauf haben will, ein Welterfolg zu sein, fesseln, denn Film ist eine Volksangelegenheit. Ein Objekt, das Millionen Menschen interessieren muß, kann Millionen Menschen nur interessieren, wenn es sowohl in der Idee wie in der Ausführung volkstümlich ist. Der Kritiker glaubt, daß das die Massen interessiert, was ihn interessiert, er glaubt, daß er die Massen erziehen kann mit ein paar Druckerzeilen, daß seinem Wort, seinem gedruckten Wort, wie dem Rattenfänger von Hameln, die Leute nachlaufen werden. Sie denken gar nicht daran. Das Niveau des Films ist zu heben, aber langsam, nicht von heute auf morgen. Wie es den Volksbühnen gelungen ist, das Publikum im Laufe der Jahre von der Birch-Pfeiffer zu Shakespeare zu bringen, so kann der Geschmack des Filmpublikums im Laufe der Jahre auch gehoben werden, aber nicht von heute auf morgen. Dr.-Eisenbart-Kuren haben bis jetzt die Patienten immer nur umgebracht. Ein Film, welcher das Publikum also nicht ins Kino zieht, wird nicht gesehen, und ein Film, welcher, wenn noch so gut, nicht gesehen wird (»nicht« heißt in diesem Fall von verhältnismäßig wenigen Menschen), ist trotz der guten Kritiken und trotz des Lobes der Konkurrenz kein Erfolg. Ein Film dagegen, welcher von Millionen Menschen mit Vergnügen gesehen wird, also Millionen Menschen interessiert, ist ein Erfolg, selbst wenn er in irgendeinem Lande, und sei es auch im Heimatland, schlechte Kritiken hat. Die Industrie, denn Film ist, wie ich zum xten Male feststelle, eine Industrie, bedarf des geschäftlichen Erfolges, um existieren zu können, und es gibt einige Firmen, die mit Recht nach einigen großen künstlerischen Erfolgen von sich sagen können: »Noch so ein Erfolg, und wir sind pleite!«
Normen aufzustellen, das Publikum will historische Filme, das Publikum will moderne Filme, ist ein Verbrechen. Das Publikum will das, was ihm gefällt, und dem Publikum gefällt - was anderes.
Ich glaube, daß rein menschliche Vorgänge, die sich zu allen Zeiten immer gleich geblieben sind und gleich bleiben werden, Liebe und Haß, Freude und Schmerz, menschlich gesehen und populär dargestellt, im Rahmen einer eigenartigen Idee, ganz egal, in welchem Gewande, interessant eingefaßt und gut gespielt und technisch perfekt ausgeführt, das Publikum jedes Landes, den Primitiven und den Intellektuellen, interessieren werden, das Dienstmädchen wie den Gelehrten, den Zulukaffer, den Chinesen und vielleicht sogar den Filmkritiker - wenn er will, denn wenn er nicht will, dann hat ja mein Artikel keinen Zweck.
Dreharbeiten zu Schuberts Frühlingstraum: Kameramann Willy Goldberger
Spielleitung im Film
Aus: Film-Kurier, Nr. 304, 24.12.1927
Was ist Filmregie? Die Spielleitung des Films, also die Aufgabe, das Spiel der Schauspieler zu leiten.
Der Schauspieler auf der Bühne hat aus sich heraus viel mehr Möglichkeiten, er kann seine Rolle aufbauen, steigern, er wird unbedingt vom Publikum so gesehen, wie er die Rolle schafft. - Wenn von der Rolle etwas gestrichen wird, wenn etwas wegbleiben soll, muß er es wissen, denn er muß es ja weglassen. Der Schauspieler spielt den 2. Akt nach dem 1. Akt und den 3. Akt nach dem 2. Akt.
Anders beim Film. -- Ein Schauspieler kann im Atelier spielen wie ein Gott, dabei kann ihm folgendes passieren. Seine schönste Spielszene, bei welcher alle im Atelier Anwesenden begeistert sind, ist schlecht photographiert oder ungünstig eingestellt aufgenommen, und diese stärkste Spielszene, von der alle begeistert waren, kommt nicht zur Geltung. -
Der Filmschauspieler hat eine sehr dramatische Szene zu spielen, heute wird die Szene 27 gedreht, nach 14 Tagen Szene 28 und vor vier Wochen wurde die Szene 26 aufgenommen. Das Wichtigste der Wirkung einer schauspielerischen Leistung ist der dramatische Aufbau.
Der Regisseur muß die Stimmgabel für den Schauspieler sein, der Regisseur muß den Ton im Ohr haben, mit welchem der Schauspieler die letzte Szene beendet hat und die neue wieder anfangen muß. Der Regisseur muß die einzelnen Figuren plastisch sehen, wozu ihm natürlich wieder das Manuskript die Möglichkeit geben muß. Die beste Leistung eines Schauspielers, selbst wenn alle Voraussetzungen zusammentreffen, kann auch dadurch vernichtet werden, daß der Film falsch geschnitten wird oder selbst dadurch, daß er nur zu schnell vorgeführt wird.
Die Filmkritik verwechselt meistens das Manuskript mit der Regie, die Schauspieler mit dem Manuskript. So kann es z.B. vorkommen, wie ich in letzter Zeit oft gelesen habe, daß der Kritiker das Spiel der Schauspieler außerordentlich lobt und die Regie verreißt. Wenn er die Schauspieler lobt, hat er doch damit die Regie gelobt. Der Kritiker nimmt also an, daß die Schauspieler von allein spielen. -
Selbstverständlich kann der beste Regisseur oft aus einem schlechten Schauspieler nichts herausholen, aber ebenso selbstverständlich kann ein schlechter Regisseur den besten Schauspieler nicht zur Geltung kommen lassen. Filmregie muß etwas von Suggestion haben. -
Die Bühne ist Vorbereitung, und oft wird ein Bühnenstück hunderte Male geprobt, man kann während der Probe eine Rolle umbesetzen, man kann ändern, wieder ändern. -- Beim Film ist es anders. Der Augenblick muß das Spiel gebären mit einigen Proben und mögen es noch so viele sein, wird die Szene noch am selben Tage gedreht, und dann ist sie da und kann nicht mehr geändert werden. Gewiß kann man die Szene, wenn sie einem nicht gefällt, wiederholen; aber auch dann wird sie wieder im Augenblick geboren. Der Bühnenregisseur hat also viel mehr Gelegenheit bedächtig eine Rolle heranreifen zu lassen, während der Filmregisseur doch in gewisser Beziehung Improvisator sein muß.
Der Kritiker verwechselt auch oft rein äußerliche Sachen, die oft der Operateur vollkommen allein und selbständig nach dem Manuskript macht, mit Regie. Technische Kunststücke haben ja gewiß ihre Daseinsberechtigung, für die man, wenn sie originell sind, aber vor allem das Manuskript loben muß und den Operateur; aber eigentlich haben sie mit der Regie nicht viel zu tun.
Ich habe seinerzeit, ich sprach erst kürzlich mit Carl Mayer darüber, den CALIGARI, den er mir zuerst anbot, abgelehnt. Ich habe sein Talent erkannt, was ich ihm auch damals ausdrücklich sagte, nur lehnte ich diesen Stoff ab, weil dieser Stoff filmfremd war, es war ein Experiment, das einmal geglückt ist, aber nie Schule machen durfte. -
Bühne ist bewußte Dekoration. Film muß photographierte Natur sein. Jede andere Einstellung ist meiner Ansicht nach eine Abart, die nie Schule machen darf.
Es hat zu allen Zeiten auch an der Bühne Regisseure gegeben, die Stücke in Szene setzten und andere, die vor allen sich selbst in Szene setzten.
Der Regisseur muß hinter dem Kunstwerk zurücktreten. Regie darf nie Selbstzweck sein. Wie auf der Bühne das Wort, so muß im Film die Figur die Hauptsache sein.
Der beste Regisseur ist der, den man nicht merkt.
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