Reihe CineGraph Buch
Helga Belach, Wolfgang Jacobsen (Redaktion): Richard Oswald. Regisseur und Produzent
WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE
oder: Die sich verkaufen
Michael Töteberg
Richard Oswald brachte es auf 120 Filme, die er inszenierte, schrieb und / oder produzierte. Er galt als Tausendsassa, schließlich drehte er auch in Holland, Frankreich, Österreich und England. Doch dieser Mann, der sich immer zum kommerziellen Kino, zum Film als Industrie bekannte, scheiterte ausgerechnet an Hollywood: Seine Karriere endete recht kläglich im amerikanischen Exil. Bis zuletzt versuchte er, mit der Entwicklung der Medien Schritt zu halten. »After Directing More Than 200 Movies He Is Now Turning To TV«, meldete im Oktober 1958 die Zeitschrift »Films in Review«. Das war nur noch Großmäuligkeit, durch die Realität längst nicht mehr gedeckt.
Seinen Film DAS HAUS IN DER DRAGONERGASSE will Oswald in drei oder vier Tagen gedreht haben - nach einem auf der Fahrt ins Atelier geschriebenen Drehbuch. Er war ein Regisseur der ersten Klappe. Sein Pensum zur Stummfilmzeit: zwischen sieben und fünfzehn Filme pro Jahr.
Auch Rainer Werner Fassbinder war bekanntlich stolz darauf, atemberaubend schnell zu arbeiten. Den Durchbruch erzielte er 1969, da kamen gleich drei Spielfilme heraus: LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD, KATZELMACHER und GÖTTER DER PEST. Im nächsten Jahr waren es sechs Filme und eine Theateraufzeichnung. Diese irritierende, eigentlich erschreckende Produktivität gehörte fortan zu seinem Image, das er glaubte immer neu bestätigen zu müssen. Zum Schluß war das ein Pokerspiel mit hohen Einsätzen. Im Vertrag zu QUERELLE stehen die Regeln: Jeden Drehtag ließ er sich 11500 DM vom Produzenten bar auf die Hand auszahlen (und als einmal die Zahlung ausblieb, streikte Fassbinder sofort). Gleichzeitig verpflichtete er sich, ab dem 20. Drehtag für jeden weiteren benötigten Tag 11500 DM an den Produzenten zu zahlen.
Das finanzielle Chaos begann mit dem ersten Film. Wichtig war nur, daß produziert werden konnte, daß der nächste Film bereits terminiert war. Verträge über Drehbuch und Regie wurden gar nicht erst gemacht; alles lief irgendwie unter antiteater. Im Abspann hieß es zwar »antiteater-X-Film-GmbH«, aber die GmbH wurde nie eingetragen. Später hielt sich das Finanzamt dann an die Person, die in der Öffentlichkeit für das Unternehmen stand: Fassbinder war dran, mußte inklusive Lohn- und Kirchensteuer für Mitarbeiter knapp 190000 DM nachzahlen. Honorare und Gagen wurden gepfändet. Wie lange er an den antiteater-Schulden abbezahlt hat, Fassbinder wird es selbst nicht durchschaut haben und wollte es wohl auch nicht wissen. Ihn mit Vertragsangelegenheiten zu behelligen, führte regelmäßig zu Wutausbrüchen. Im Nachlaß findet sich eine Vereinbarung, deren erster Satz hier zitiert sei: »Es muß nicht sein, soll aber so sein, weil ich es will und damit endlich Ruhe ist: Ich, Rainer Werner Fassbinder, übertrage hiermit und heute sämtliche Rechte an folgenden Filmen...« Folgt eine Liste von 17 Spielfilmen, und dafür bekommt der Filmautor nichts außer der Zusicherung, nie mehr und »insbesondere in steuerlicher Hinsicht« als Mitinhaber der Firma Albatros bezeichnet zu werden.
Dreharbeiten zu Die dritte Generation: Rainer Werner Fassbinder
Nach dem antiteater-Debakel gründete er gleich darauf eine neue Produktionsfirma, die Tango Film. Nein, Fassbinder wurde nicht klug. Trotz negativer Erfahrungen schloß er immer wieder höchst ungünstige Verträge, paktierte mit dubiosen Geschäftemachern, ließ sich auf nicht abgesicherte Projekte ein. Er produzierte nach der Devise: »Nur so entstehen bei uns Filme: indem man sie ohne Rücksicht auch auf finanzielle Verluste macht«. Ohne Rücksicht auch auf finanzielle Verluste: Nur so konnte ohne Förderungs- und Fernsehgelder ein Film wie DIE DRITTE GENERATION entstehen. Solange er lebte, hatte Fassbinder überall Kredit: Man wußte ja, der arbeitet wie ein Berserker. Nach dem Tod wurden dann die Rechnungen präsentiert. Da meldete sich zum Beispiel das Kopierwerk und zeigte eine Vereinbarung vor, meldete Ansprüche an, die mit Wiederholungshonoraren zu verrechnen sind. Einem Barvermögen von 450000 DM standen Verbindlichkeiten von 452000 DM entgegen - so sieht die Bilanzsumme eines Lebens aus, das sich in rastloser Produktivität, schon krankhafter Arbeitswut verzehrte.
Oswald wird, so vermute ich, ähnlich gearbeitet haben. Ein Loch mit dem anderen stopfen - er war ein Spieler, der immer darauf setzte, die nächste Karte sei ein Trumpf. Er bewies ein sicheres Gespür für Trends und Moden, hatte einen Riecher für publikumswirksame Themen. Vor Tabus machte er nicht halt. Auch sonst kannte er keinerlei Berührungsängste: Bestseller waren selbstverständlich Filmstoffe, egal, ob es sich um Kolportageromane oder um Werke der Weltliteratur handelte. Schnelles Reagieren auf aktuelle Zeitereignisse war wichtiger als sorgfältige Vorbereitung. Und der nächste Film, das neue Projekt immer wichtiger als die Endfertigung und die optimale Auswertung des letzten.
Eine solche Arbeitsweise hinterläßt Spuren, schreibt sich unmittelbar in die Ästhetik ein. Es gibt Brüche in Oswalds Filmen. Nun war er zweifellos ein Routinier, der sein Handwerk beherrschte, aber er handelte nicht danach. Immer arbeitete er zugleich gegen die Perfektion an. Diese Verstöße gegen ästhetische Standards sind es, die für uns heute die Filme interessant machen.
»Aber er hat doch sehr viel heruntergeschlampt in der Fertigstellung, in der Synchronisation, im Schnitt«, klagte Luggi Waldleitner über seinen Regisseur bei LILI MARLEEN. Man könnte auch sagen: Fassbinder demontierte den Roxy-Film, und Waldleitner hatte ja auch nur gezwungenermaßen mit ihm kooperiert. »Der Betrieb braucht jemanden wie mich«, meinte Fassbinder einmal selbstbewußt. Übrigens auch als Prügelknaben, an dem man sich die Mäuler zerreißen kann.
Dreharbeiten zu Abenteuer am Lido: Richard Oswald
Auch Oswald verletzte die Regeln des guten Geschmacks. Man kann die Frage stellen, ob er bewußt den Skandal suchte. Aber gewiß doch: Der Skandal ist geradezu die Existenzform für diesen Typ Filmmacher.
In »Reclams deutschem Film-Lexikon« heißt es über Oswald: »,Kunst und Geschäft', das in Wien erlernte Jarno-Prinzip, bewährte sich auch im deutschen Kinematographengewerbe.« Das klingt nach bürgerlicher Solidität, seriösem Geschäftsgebaren. Künstlerisch ambitionierte Projekte und kommerzielle Brotartikel - Mischkalkulation als Zeichen wirtschaftlicher Vernunft? Zweifel sind angebracht. Die Branche war noch jung, Goldgräber-Mentalität herrschte. Heinz Ullstein, Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Richard Oswald-AG, über seinen Geschäftspartner: »Man durfte sich schließlich nicht darüber wundern, wenn ein Mann dieses Typs nicht die Voraussetzungen erfüllte, die man, was Ehrbarkeit anbelangte, bei einem Pfarrer als selbstverständlich voraussetzt.« In seinen Memoiren »Spielplatz meines Lebens« (München: Kindler 1961) definiert Ullstein Film als »gewerblich hergestellte Kunst, also Kunstgewerbe«. So habe das auch Oswald gesehen. »Er war besessen von seiner Aufgabe und von dem Wunsch, Geld zu verdienen. Aber es fiel ihm auch nicht im Traum ein, das Geld dazu zu benutzen, sich gesellschaftliches Ansehen zu kaufen. Es war ihm gänzlich gleichgültig, wie oder als was man ihn ansah.«
Film als Spekulationsobjekt. Ullstein bezeichnet sich als »Erfolgsjäger«, und diese Charakteristik dürfte auch auf seinen Kompagnon zutreffen. Oswald sei, so Ullstein, eine Managernatur gewesen, doch zuviel Künstler, um etwa eine Knopffabrik zu leiten. Dramaturgische Kenntnisse habe er nicht besessen, aber auch nicht gebraucht: Er wußte intuitiv, was die Leute wollten. »Menschen, die darauf angewiesen sind, erfolgssicher mit dem Publikumsgeschmack zu arbeiten, können nicht ohne Leidenschaften sein und müssen immer in jener Welt zu Hause sein, in der man sich amüsiert.« Oswald nahm das Kino als Unterhaltungsstätte ernst. Die Menschen wollten große Gefühle wie Liebe, Haß und Glück erleben - ob diese echt oder falsch sind, darüber kann man diskutieren, wenn das Licht wieder angeht. Nichts spricht dafür, daß Oswald bewußt mit Operetten künstlerische Experimente und politische Tendenzfilme finanzierte. Nein, das gehörte alles zusammen, Kitsch und Kunst, Lumpen und Seide.
Davor versagt, damals wie heute, die Kritik. Herbert Ihering verzweifelt geradezu, weil Oswald die einmal gefundenen Ansätze nicht fortentwickelte, statt beim modernen Großstadtfilm zu bleiben, sich plötzlich auf historische Kostümfilme warf. Nach dem didaktischen Aufklärungsfilm DÜRFEN WIR SCHWEIGEN? drehte er WIR SIND VOM K.U.K.INFANTERIE-REGIMENT, nach dem politischen Tendenzfilm FEME die Filme GEHETZTE FRAUEN und FUNKZAUBER. Ähnlich Fassbinders Filmografie: Auf DESPAIR folgte IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN, auf DIE EHE DER MARIA BRAUN sein Film DIE DRITTE GENERATION, auf LOLA die Dokumentation THEATER IN TRANCE. Von einer Entwicklung kann man kaum sprechen, es sind eher mehrere parallel verlaufende Linien. »Er ging seinen Weg, manchmal in zwei oder drei verschiedene Richtungen zur gleichen Zeit.« So »The New York Times« über Fassbinder, doch der Satz gilt genauso für Oswald. Sentimentale Melodramen und anspruchsvolle Literaturverfilmungen, Sozialkritik und Unterhaltungskino, mit großem Kapitaleinsatz realisierte Kommerzprodukte und Low-Budget-Produktionen: Die Bandbreite ist bei beiden irritierend groß. Wer so vieles und so Verschiedenes macht, erregt immer Verdacht. Hemmungen, den Publikumsgeschmack zu bedienen, kannten beide nicht. Fassbinder berief sich dabei gern auf Douglas Sirk und dessen Ratschlag: »Filme müssen in Garmisch-Partenkirchen, in Okinawa und in Chicago ankommen - und jetzt überleg dir, was für alle diese Leute der gemeinsame Nenner sein könnte.« Mit LADY HAMILTON und LUCREZIA BORGIA hat Oswald versucht, das Hollywood-System zu kopieren. »Das Publikum jedes Landes«, den Intellektuellen ebenso wie das Dienstmädchen, wollte er erreichen. Diesem Traum vom universalen Erfolg an der Kinokasse sind beide nachgerannt.
Sie lieferten Mainstream-Produktionen, blieben jedoch immer Grenzgänger. Unseriös, irgendwie anrüchig - selbst kommerzieller Erfolg hebt die Außenseiterrolle nicht auf. »Schwuler Kitschproduzent«, so charakterisierte die »taz« Fassbinder; »geschmackloser, ins Komische umschlagender Größenwahn«, diagnostizierte Herbert Ihering bei Oswald. Beide verfolgten dasselbe Programm, sie wollten Freud und Hirschfeld popularisieren, doch man glaubte ihnen das nie so ganz. Noch bei QUERELLE wurde Fassbinder zunächst Filmförderung versagt, weil, so wörtlich, »der besondere Stil des Regisseurs eine direkte und vordergründige Überhöhung erwarten läßt«. Die Urteile von entrüsteten Zeitgenossen, das angeblich »gesunde Volksempfinden«, veranlaßte die »Bild«-Zeitung anläßlich der Ausstrahlung von BERLIN ALEXANDERPLATZ zur Schlagzeile: »Schmuddel-Sex«.
Aufklärungsfilme läßt man sich gefallen, wenn sie aus der Distanz gefilmt sind. Vom Arzt läßt man sich etwas sagen, nicht von einem, der selbst gefährdet ist. Bei Fassbinder spürte man immer, daß er selbst betroffen war, bei Oswald in seinen besten Filmen, daß er, vorsichtig formuliert, zumindest fasziniert war von den sogenannten sexuellen Verirrungen.
Lassen wir die aufgeregten Moral-Apostel, wenden wir uns den politischen Filmen zu. Auch hier dasselbe Bild: Man glaubte ihnen den aufklärerischen Impetus nicht. Die Linke reagierte mit Mißtrauen. »Die Rote Fahne« lehnte etwa den HAUPTMANN VON KÖPENICK entschieden ab, geißelte die »Gesinnungslosigkeit« des Regisseurs und sprach von einer schlichtweg »üblen Sache«. Fassbinder und die Linke, das ist ein ähnliches Thema. Man lese Wallraffs Verdikt über ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG in »konkret« oder, ein paar Jahre später im selben Blatt, Piwitt über BERLIN ALEXANDERPLATZ: Ein »Herrenballett« habe Fassbinder inszeniert und seine Beziehung zum Proletariat sei »absolut schwul«, was immer das bedeuten mag.
1920 dreht Oswald den Film KURFÜRSTENDAMM. Die Story: Der Teufel macht Urlaub, er braucht Tapetenwechsel. Und so mietet er sich in einer Pension am Kurfürstendamm ein, genießt die Sittenverderbnis der Nachkriegszeit und wird - Filmproduzent. Das Ende läßt sich ahnen: Der Teufel ist heilfroh, als er wieder in seine gemütliche Hölle zurückkehren darf.
Aufschlußreicher als alle Klatschgeschichten über RWF und seine Clique ist der Film WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE. Fassbinder beschreibt hier - es handelt sich um eine ziemlich authentische Rekapitulation der Dreharbeiten zu WHITY - schonungslos seine Rolle: Er beutet die Gruppe aus, und die Gruppe beutet ihn aus. Auf dem Titelblatt der (nicht gespielten und nicht publizierten) Theaterfassung heißt es: »Gewidmet den Ratten von Hameln und ihrem Fänger.« Auch Oswald war ein solcher Fänger. Welche Anteile Regisseur und Darsteller am fertigen Film haben, läßt sich kaum ausmachen; das ist eine nutzlose Diskussion. Man sollte sich lieber an eine Erkenntnis von Brecht halten: »der rattenfänger von hameln muß aber zumindest pfeifen gekonnt haben.«
Kratzbürstig und hysterisch sei Oswald gewesen, notierte Ullstein, wußte aber: so sind Filmleute. Im Fassbinder-Nachlaß gibt es eine Inhaltsangabe zu WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE; der letzte Absatz lautet: »Und ohne daß sie (gemeint sind: die Schauspieler, das Team, der Regisseur. M.T.) es recht merken ist aus dramatisierter Hysterie und klischierter Leidenschaft etwas entstanden, was sie nie recht greifen konnten, was den Grund ihrer Verwirrung ausmachte, was sie sündigen und beten ließ: der Film, der sie anzieht und der sich ihnen entzieht, der Film - eine heilige Nutte.« DIE SICH VERKAUFEN heißt der zweite Teil von Oswalds Film-Serie DIE PROSTITUTION. Er handelt nicht nur von Huren, sondern auch von Journalisten, also von Leuten, die die Medien mit Geschichten beliefern. Mag er auch zeitweise glänzende Geschäfte gemacht haben, am Ende von Oswalds Leben steht die Erkenntnis, die Fritz Lang einmal formulierte: »Ein Mann geht zu einer Prostituierten, er bezahlt, was weiß ich, tausend Francs. Die Prostituierte gibt ihm dafür den genauen Gegenwert. Nichts mehr. So eine Nutte ist auch der Film, der eben das Notwendigste gibt. Aber ich sage, man muß immer etwas mehr geben, als man bekommt; etwas mehr, als man schuldig ist.«
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