FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.

Film und Kammermusik in der Volksbühne

Von M. Urak

in: Film-Kurier, Nr. 256, 28.10.1929


Vorweg: Zweifellos hat Paul Dessau hier einen Weg gefunden, moderne Musik dem großen Publikum zu Gehör zu bringen: als Illustration zu Kurzfilmen und als Einlagen zwischen diesen Filmvorführungen. Hierfür sei ihm und seinem tüchtigen Orchester gedankt. Nur die wenigsten von all denen, die bei der gestrigen Matinée die Volksbühne bis hinauf in die Ränge füllten, würden wohl für einen konzertmäßigen Vortrag der gebotenen Musik Interesse gehabt haben.

Die Themen der reinen Musikdarbietungen: Spielmusik, Tafelmusik, Unterhaltungsmusik deuteten schon darauf hin, daß nur leichte Kost gereicht werden sollte.

Von der den Vormittag einleitenden Spielmusik op. 45 Nr. 3 von Paul Hindemith, betitelt: Ein Jäger aus Kurpfalz, die für Liebhaberorchester gesetzt ist, kann nur gesagt werden, daß das einzig nette an ihr die hin und wieder auftauchende Melodie des genannten Volksliedes war; die gesamte darauf und darum aufgebaute Verbrämung trug keinerlei bemerkenswerten Stempel - eine Häufung von Tönen, Dutzendware, die niemanden für die »moderne« Musik gewinnen dürfte.

Die dann folgende Uraufführung einer Originalkomposition von Max Butting zur Illustration des Filmes ERNTE war die musikalische Ausbeute der ganzen Veranstaltung. Weiche Melodien bei den Streichern, besonders in der ersten Hälfte des Filmes: später schon mehr realistische Unterstreichung der Bildfolgen, besonders durch die Bläser. Eine in der Scholle verwurzelte, aus ihr geborene und empfundene Musik.

Vielleicht war die gesamte Melodik ein wenig zu düster, blieb sie es doch auch bei dem Schlußbild, als der Bauer die ersten Scheiben des ersten aus der neuen Kornernte gebackenen Brotes verteilte.

Der Film selbst, ein Erdeka-Film der Höllering Produktion, war teilweise ganz wunderschön photographiert (Kuron Gugol). Etwa, wenn die zerfurchten Hände des alten Landmannes die ersten Körner unsagbar liebevoll immer wieder aus der einen in die andere Hand gleiten lassen: Korn, das Leben bedeutet, das er der Erde abgerungen hat. Oder die Dreschszene, in der die Dreschflegel nur beim Aufschlagen auf den Boden selbst sichtbar waren, während man ihre volle Bewegung zu der nervige Bauernfäuste sie zwingen, an ihren über die Erde gleitenden Schatten verfolgen kann - oder die Bilder der Bauernfrau vor dem primitiven Backofen.

Der Beifall, der der Musik wohl ebenso wie dem Film galt, war sehr stark.

Als Nr. 3 des Programms war eine Tafelmusik für 2 Oboen, 1 Trompete, Streichorchester und Cembalo eines alten Meisters, Georg Philipp Telemann (1681-1767), eingeschaltet. Barockismus in Vollendung, mit einem Einschlag Händel-Bach'scher Instrumentierung.

Schade, daß das Zusammenspiel nicht immer einwandfrei und der Trompeter seinem gewiß sehr schwierigen Part nicht ganz gewachsen war, und das Cembalo so stiefmütterlich behandelt wurde, daß es zeitweilig kaum hörbar war.

In dem nun folgenden Puppenfilm DER VERZAUBERTE WALD von Starewitch hatte Paul Dessau seine schon im Kino gespielte Musik wiederholt.

Das Programm wurde mit einem Trickfilm von Mintz DIE KINDERFABRIK fortgesetzt, zu dem Ernst Toch die Musik geschrieben hatte. Die unglaublich komischen Vorgänge in der Trickwelt lösten bei offenem Bild stürmischen Beifall aus, so daß die nur von sechs Bläsern ausgeführte Musik oftmals in Lachen und Klatschen unterging - kein Jammer. Denn Toch hatte das mechanisch gläserne im Grundton zwar getroffen, die Durchführung muß man indessen musikalisch wertlos nennen.

Zweimal hörte man noch Begleitmusik von Paul Dessau. Einmal zu dem Film EIN BEINLICHES ABENTEUER von Hans Manninger. Hier hatte Dessau wohl keine reine Originalkomposition schaffen wollen, sondern lediglich eine Illustrationsmischung von neuem und altem. So hörte man denn eine Reihe bekannter Themen aus der in den Streichern klanglich annehmbaren pittoresken Musik heraus.

ALICE UND DER SELBSTMÖRDER hieß der letzte Film, wieder ein Trickfilm, illustriert von Paul Dessau.

Zwischendurch war eine Unterhaltungsmusik für kleines Orchester von W. Goehr uraufgeführt worden. Am besten wiederholt man hier nur den Ausspruch eines anwesenden Musikers nach Verklingen des letzten Teiles: »Wilder Marsch« - ein wild gewordener Kompositionsschüler. Chromatische Tonleitern, schrille Pfeifen»soli« und ähnliche musikverwandte Geräusche bildeten den Hauptbestandteil.


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