FilmMaterialien 8 - Siegfried Arno
Siegfried Arno
Kritisches Essay
von Hans Tasiemka
aus: Der Film, Nr. 19, 15.10.1928
Komische Talente sind im deutschen Film sehr dünn gesät. Es gibt wohl Damen und Herren, die auf gewisse komische Situationen gedrillt sind! Soldaten des Schlagsahnenbombardements oder des fest abgezirkelten Backenaufblasens sozusagen! Auf dieser Tatsache beruhen auch die Mißerfolge, die denen beschieden waren, die versuchten, die deutsche Groteske zu schaffen.
Die amerikanischen Filmkomiker, wir sprechen in diesem Zusammenhang nicht einmal von den großen Drei, haben ihre Eigenart, aber sie ist nicht chargiert, nicht durch Einseitigkeit und Vollführung eines halben Dutzend gleicher Gesten geschmacklos gemacht (geschmacklos in diesem Zusammenhang im wahrsten Sinne des Wortes ohne böse Nebenbedeutung).
Aber verlieren wir uns nicht in das Gestrüpp theoretischer Formulierungen! Sprechen wir lieber von einem Schauspieler, der durch nichts festgelegt werden konnte, der trotz vieler Versuche nicht Chargenspieler wurde, sondern der eben Siegfried Arno heißt und der in jeder Passage, in jedem noch so blöden Operettenschmarren der Leinwand Farbe und Tempo gehalten hat.
Arno ist wie sein großer amerikanischer Kollege Buster Keaton immer ernst. Arno lacht nie, und wenn, schmerzlich, aus Versehen. Arno ist der Schlemihl, der Mann der tausend verpaßten Gelegenheiten oder aber der dekadente Gent, der sogar den Anschluß zum wirklichen Leben verpaßt hat.
Gustl Stark-Gstettenbaur, Ernst Sennesch, Siegfried Arno und Lore Mosheim in DER STORCH STREIKT (E.W. Emo, 1931)
In einem Film, der vor kurzem herauskam und dessen Manuskript bei Gott nicht durch Neuartigkeit auffiel, wurde dieser Mann, dieser Arno, ein Graf vom Monokel bis zum Lackschuh, nach Werder, dem Neckar der Obstweintrinker, verschleppt, und da ist ihm Gräßliches passiert.
Er, der so fein ist, daß ihn ein Rußkörnchen am blütenweißen Kragen des Mitmenschen stört, besoff sich, mit Verlaub zu sagen, wie ein Schwein! Aus Versehen natürlich nur, ganz aus Versehen. Aber er führte verblüffend und ungemein realistisch die Erscheinungsformen des Rausches vor. Wie da die Suffskalen von der leichten Benebelung bis zur tierischen Exaltiertheit entstanden, bleibt einzigartig. Hier gab kein Kabarettist eine mit Mätzchen verunzierte Extravorstellung, sondern ein armer Kerl, verschluckt vom Alkohol, demonstrierte seine Erlebnisse.
Arno, das wäre der pathetische Peter Schlemihl unserer Zeit, der Peter Schlemihl mit der herrlich gebundenen Krawatte und dem blutenden Herzen.
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