Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996
Zeitgenössische Pressestimmen

Neger in Rüdersdorf

Dreharbeiten zu EINE WEISSE UNTER KANNIBALEN, Regie: Hans Schomburgk. In: Film-Kurier, Nr. 209, 7.9.1921


Eingeschlossen von Kalksteinwänden, dicht an einem kleinen See, liegt jetzt ein Negerdorf. Die zahlreichen strohgedeckten Hütten mit ihren primitiven Eingängen hat der Film in die Landschaft von Rüdersdorf improvisiert. Sieht man aber das lebhafte Hin und Her in den kleinen Gassen und wieder allerlei buntes Volk gestikulierend auf Plätzen verweilend, so ist der Eindruck so überzeugend, daß man für Augenblicke nicht eine Improvisation vermutet.

Freilich, wenn man von dem ersten Überblick zu Einzelheiten übergeht, gewahrt man plötzlich den Operateur kurbelnd und in seiner Nähe den Regisseur, der mit kurzen Befehlsgesten die Neger in ihrem Treiben dirigiert. Sie sitzen eben im Kreise und lassen in ihrer Mitte Raum für zwei wild angezogene Kerle, die nach den Rhythmen der Trommler einen Kriegertanz absolvieren. Jäh endet das expressionistische Konzert bei dem Herannahen des Hohenpriesters und des Häuptlings mit einer weißen Frau. Eine Weile liegt Andachtsstimmung über der Situation, bis auf einen Ruf des Regisseurs das Arrangement plötzlich in tausend sozusagen private Teile zerfällt. Das dort ist nicht mehr der stolze Negerhäuptling, sondern Mister Desusa, dem es nach dieser wilden Szene nach Kultur verlangt, die er sich mit dem Aufsetzen eines steifen Hutes ein für allemal wieder sichert. Da ist ein kleiner flinker Kerl mit einem roten Schopf an der Stirn, von den Wildesten einer, der sofort in seine Privatleidenschaft zurückfällt und boxt. Rasch ist ein Partner gefunden und nun gehen die Runden. Das Publikum folgt mit Spannung. Wenn der Kampf ernst zu werden droht, springen Friedliebende zwischen die Boxenden. So ganz trauen sie auch dieser Kultur nicht.

Eine andere Gruppe hat sich zum Jeu eingefunden. Sie sitzen auf einer Matte, Freunde unter sich, geschickt Muscheln in die Luft werfend, von deren Fall sicherlich der Gewinn abhängt. Als kalmierendes Wort, wenn einen der Spielenden der Verlust bedrängt, sagen sie »Schieber«, womit sie offenbar ihr Mißtrauen für jede Kultur aussprechen.

Die Fetische, die an einigen Punkten des Dorfes stehen, werden ignoriert. Ihre Zeit ist längst versunken, keiner glaubt mehr an ihre Macht, ihre Schatten, die auf Boxende und Spielende fallen, blassen langsam in den Abendstunden...


Zurück zum Inhalt, Nächster Artikel