CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film.

Doris Dörrie
- Regisseurin, Autorin, Produzentin

Biografie

Doris Dörrie wird am 26. Mai 1955 in Hannover als Tochter eines Arztes geboren. Nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium 1973 zweijähriger Aufenthalt in den USA. Sie absolviert ein Schauspiel- und Filmstudium am Drama Department der University of the Pacific in Stockton (Kalifornien) und studiert anschließend an der New School of Social Research in New York. Daneben arbeitet sie in Cafés und als Filmvorführerin im Goethe-House New York. Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik 1975 beginnt Dörrie das Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film, München, daneben schreibt sie Filmkritiken für die Süddeutsche Zeitung.

Doris DörrieGemeinsam mit Wolfgang Berndt dreht Dörrie 1976 den Dokumentarfilm OB'S STÜRMT ODER SCHNEIT, ein einfühlsames Porträt der in einem fränkischen Dorf arbeitenden Kinobesitzerin Maria Stadler. 1978 realisiert sie mit DER ERSTE WALZER ihren Abschlußfilm an der HFFM, einer unsentimentalen Geschichte über zwei Jugendliche, deren Schwierigkeiten mit der Arbeitswelt, den ersten Erfahrungen eines gemeinsamen Lebens. Bereits diese beiden frühen Filme erreichen bei Kino- und Fernsehaufführungen ein größeres Publikum.

Anschließend arbeitet Dörrie als freie Mitarbeiterin für verschiedene Fernsehanstalten, dreht für das ZDF den Kinderfilm PAULA AUS PORTUGAL, für die Redaktion "Schule und Familie" des Bayerischen Rundfunks Dokumentarfilme, darunter Porträts über eine junge Schäferin (VON ROMANTIK KEINE SPUR) und eine 85jährige frühere Magd, die immer noch privat und beruflich aktiv am Leben teilnimmt (KATHARINA EISELT). Für den Westdeutschen Rundfunk entsteht das Fernsehspiel DAZWISCHEN, eine Liebesgeschichte zwischen zwei Jugendlichen.

1983 realisiert sie MITTEN INS HERZ. Der Spielfilm, bundesdeutscher Beitrag auf den Filmfestspielen in Venedig, erzählt von der erkauften Bekanntschaft zwischen der 22jährigen Kassiererin Anna Blume (Beate Jensen) und dem Zahnarzt Arnim Thal (Sepp Bierbichler), der von ihr nichts anderes erwartet, als daß sie mit in seinem Haus wohnt, auf keinen Fall eine Liebesbeziehung. Doch sie verliebt sich, täuscht eine Schwangerschaft vor, entführt ein türkisches Kind und muß hilflos zusehen, wie die Zuneigung des Arztes sich immer mehr diesem Kind zuwendet. Anna Blume erschießt den Mann und flieht. "Ein enger, parabelhafter Stoff über zwei Generationen, zwei Geschlechter, beide in einer gerade heute nicht seltenen Form von Egomanie verfangen." (W. Schütte, Frankfurter Rundschau, 2.9.1983).

Nach einem bereits 1980 verfaßten Drehbuch entsteht 1984 IM INNERN DES WALS. Dessen Geschichte "läßt sich auch in einer Schlagzeile beschreiben: Polizist dreht durch, weil Tochter entführt" (Dörrie). Mit ihren beiden Protagonisten Janna Marangosoff und Eisi Gulp gelingt ihr ein "road movie durch einen verregneten norddeutschen Sommer und zugleich die schwierige, anrührende, von leisem Humor bestimmte Annäherung zwischen Karla und dem Sänger Rick, der "zufällig" gerade dorthinfährt, wohin Karla will" (A. Frederiksen, Die Zeit, 26.4.1985).

1985 ist ihre Komödie MÄNNER in der BRD und im Ausland ein überragender Publikumserfolg, der Doris Dörrie u.a. auf "Spiegel"-Titel bringt. Die Geschichte um zwei gegensätzliche, rivalisierende Männer - Heiner Lauterbach als Manager Julius, der seine Karriere für ein WG-Zimmer an den Nagel hängt, und Uwe Ochsenknecht als Aussteiger Stefan, der Spaß an der Karriere bekommt - hat, so vermutet Der Spiegel, "den Zeitgeist voll am Schlafittchen gepackt - wie einst, im Jahre 1968, May Spils' Fummelfilm ZUR SACHE SCHÄTZCHEN". Die Kritik reagiert gespalten; ein Teil der Rezensenten lobt die unverkrampfte, pointensichere Inszenierung, die auch Gespür für Situationskomik hat; andere vermissen satirische Schärfe: "Obwohl die Dialoge durchaus den bemüht noblen Ton der Männer aus dem Windkanal treffen, nimmt Dörrie dem Film die Schärfe auch dadurch, daß sie sich nicht entschließen kann, ihre 'MÄNNER' da enden zu lassen, wo es bitter zu werden beginnt." (G. Koch, Frankfurter Rundschau, 13.1.1986).

Die 1986 gedrehte Tragikomödie PARADIES wird überwiegend als Versuch gewertet, um keinen Preis eine indirekte Fortsetzung zu MÄNNER zu drehen. Diesmal ist es ein Mann, der Zoologie-Professor Viktor (Heiner Lauterbach), der zwischen seiner Frau (Sunnyi Melles) und deren Schulfreundin Lotte (Katharina Thalbach) steht. Aus dem Versuch der Ehefrau, die etwas langweilige Ehe interessanter zu gestalten, entstehen immer mehr Komplikationen, die das Leben der drei völlig verändern. Der joviale Grundton von MÄNNER kippt hier ebenso ins Surreale wie ins Tragische.

ICH UND ER (1987)

Bernd Eichinger, mit seiner Produktionsgesellschaft Neue Constantin immer auf der Suche nach publikumswirksamem Nachwuchs, engagiert Dörrie 1987 für die internationale Produktion ICH UND ER. Gedreht in New York nach einem Roman von Alberto Moravia und mit internationaler Crew, stehen in dieser "Unterleibskomödie" der Architekt Bert Uttanzi (Griffin Dunne) und seine Erlebnisse und Erfahrungen mit Frauen im Mittelpunkt. "Das Sehen steht bei Dörrie hintan, es gibt ja auch nichts Aufregendes zu sehen, statt dessen wird der Zuschauer vom Vor- bis zum Nachspann bequatscht." (P. Krauss, Frankfurter Rundschau, 17.9.1988).

1988 entsteht die Komödie GELD, in der zwei Paare, die spießigen Müllers und die neureichen Nachbarn, einander nach einem Bankraub mit Geiselnahme kennen und verstehen lernen. Nach dem Erfolg mit MÄNNER ist Dörrie mit diesem Film auf einem Tiefpunkt ihrer Karriere angelangt: "Die Bilder sind affektiert ausgeleuchtet; die Menschen reden fallweise nicht einmal lippensynchron; die Kamera heult in lyrischen Anfällen den Mond an; und die Schauspieler sind in ihren Rollen fast zu bemitleiden." (M. Althen, Süddeutsche Zeitung, 16.3.1989).

Gemeinsam mit Gerd Huber, Renate Seefeld, Helge Weindler und Thomas Müller gründet Dörrie 1989 die Cobra Filmproduktions GmbH, die ihre nächsten Filme herstellt. Zur den festen Mitarbeitern ihres Stabes gehören neben dem Kameramann Weindler, mit dem sie seit 1988 verheiratet ist, der Co-Autor und Regieassistent Michael Juncker und der Cutter Raimund Barthelmes.

Nach dem erfolgreichen Roman von Jakob Arjouni entsteht 1991 HAPPY BIRTHDAY, TÜRKE über den türkischstämmigen Privatdetektiv Kemal Kayankaya (Hansa Czypionka), der im frankfurter Bahnhofsmilieu zwischen die Fronten von Drogenmafia und Polizei gerät. Die Ermittlungen über einen verschwundenen türkischen Familienvater führen Kayankaya schließlich zur Aufdeckung der gegenseitigen Durchdringung von Unterwelt und Obrigkeit. Der visuelle Stil des Neon noir, aus französischen Kriminalfilmen der 80er Jahre entlehnt, vermeidet die Fallstricke deutscher Fernsehkrimi-Ästhetik mehr als die teilweise hölzernen Dialoge.

Seit 1987 veröffentlicht Doris Dörrie Kurzgeschichten und Erzählungen, die nicht nur beim Publikum erfolgreich sind, sondern auch in den Feuilletons auf wachsendes Interesse stoßen. Immer mehr durchdringen sich die vignettenhaften Kurzgeschichten aus dem Alltag mit dem Stoff ihrer Filme. Charaktere, die in Büchern auftauchen, werden in Filmen weiterentwickelt und kehren wieder in die Literatur zurück. Die Kritik entdeckt Vorzüge, die schon ihre früheren Filme auszeichnete: "Der messerscharfe Zwiespalt zwischen den beschränkten Gesten der Alltagsnormalität und der menschlichen Existenz bindet alle ihre Erzählungen aneinander." (J. Jessen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.1987).

Für den 1993 realisierten Film KEINER LIEBT MICH bilden Charaktere aus ihrer Kurzgeschichtensammlung "Für immer und ewig" die Basis. Das skurrille Figurenkabinett eines kölner Wohnsilos zwischen Bahngleisen und Ödland wird bevölkert vom Single Fanny Fink (Maria Schrader), die wenige Tage vor ihrem 31. Geburtstag von existenziellen Alleinseinsängsten geplagt wird, dem Hellseher Orfeo (Pierre Sanoussi-Bliss), dessen Sendungsbewußtsein sich ebenso auf seine Nachbarn wie auf Außerirdische erstreckt, und dem neue Verwalter Lothar Stricker (Michael von Au), der sich nach anfänglicher Romantikerpose als Frauenheld herausstellt.

Bei den Dreharbeiten zu BIN ICH SCHÖN?, die in Spanien stattfinden, verstirbt Dörries Ehe- und Kameramann Helge Weindler am 22.3.1996 an Krebs. Die Produktion wird daraufhin abgebrochen und erst im Herbst 1997 wieder aufgenommen. In BIN ICH SCHÖN? gewinnt der Figurenreigen ihrer Erzählungen nochmals an Komplexität, ebenso die kunstvolle Verschachtelung der Geschichten, die sich um Leben, Hoffnungen, Lügen und Wahrheit der jüngeren Generation zwischen Deutschland und Spanien drehen. Für dieses Projekt, das wiederum bei Eichingers Constantin entsteht, versammelt sie ein Ensemble an bekannten deutschen Darstellern.

Doris Dörrie lebt mit ihrer Tochter Carla (geboren 1989) in München.

Malte Hagener


Auszeichnungen

  • 1984 Max-Ophüls-Preis: Publikumspreis der Stadt Saarbrücken für MITTEN INS HERZ.
  • 1986 Deutscher Filmpreis: Filmband in Silber; Filmband in Gold (Drehbuch) für MÄNNER.
  • 1986 Goldene Leinwand für MÄNNER.
  • 1986 Gildefilmpreis für MÄNNER.
  • 1986 IFF Vevey (Schweiz): Goldener Spazierstock für MÄNNER.
  • 1986 IFF Hof: Filmpreis der Stadt Hof für MÄNNER.
  • 1992 Deutscher Filmpreis: Nominierung für HAPPY BIRTHDAY, TÜRKE.
  • 1994 Journalistenpreis der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten für WAS DARF'S DENN SEIN?
  • 1995 Deutscher Filmpreis: Filmband in Silber für KEINER LIEBT MICH.
  • 1995 Ernst Hoferichter-Preis für das schriftstellerische Werk.
  • 1996 Bettina von Arnim-Literaturpreis der Zeitschrift Brigitte für die Kurzgeschichte "Der Vater der Braut".

Literatur

Von Dörrie

  • (Hg. mit Robert Fischer): Kino 78. Bundesdeutsche Filme auf der Leinwand. München: Nüchtern 1978, 216 S., ill.
  • Liebe, Schmerz und das ganze verdammte Zeug. Vier Geschichten. Zürich: Diogenes 1987, 178 S.
  • "Was wollen Sie von mir?" und 15 andere Geschichten mit Fotos von Helge Weindler. Zürich: Diogenes 1989, 192 S, ill.
  • Der Mann meiner Träume. Erzählung. Zürich: Diogenes 1991, 104 S.
  • Für immer und ewig. Eine Art Reigen. Zürich: Diogenes 1991, 304 S.
  • Love in Germany. Deutsche Paare im Gespräch mit Doris Dörrie. Unter Mitarbeit von Volker Wach. Zürich: Diogenes 1992, 159 S.
  • Suche nach Winnetous rechtem Fuss. In: Sonderhefte der Karl May-Gesellschaft, Nr. 98, 1993
  • Bin ich schön? Erzählungen. Zürich: Diogenes 1994, 352 S.
  • Samsara. Erzählungen. Zürich: Diogenes 1996, 329 S.
  • Der Lama von Karlsfeld. In: Ursache & Wirkung. Zeitschrift für Buddhismus in Österreich, Nr. 2, 1997.

Über Dörrie

  • Männer. Der Eine kann's, der Andere auch. Nacherzählt von Rüdiger Liedtke. Der Roman nach dem Film von Doris Dörrie. Berlin, Frankfurt: Ullstein 1986, (UTB 20673)
  • Mike Allnutt (Hg.): Doris Dörrie. Paradies. Das Buch zum Film. München: Heyne, 1986, (Heyne TB 6930), 139 S.
  • Thomas Thieringer: Raus aus den schönen Altbauwohnungen der Regisseure. In: Süddeutsche Zeitung, 6.7.1983.
  • Wolfgang Timpe, Hollow Skai: Das unlogisch Menschliche. In: Die Tageszeitung, 24.6.1985. (Interview).
  • Jan van Dieken: "An das Wort "Komödie" habe ich nie gedacht." In: Die Tageszeitung, Hamburg, 14.1.1986. (Interview).
  • Danielle Krüger: "Männern auf den Pelz rücken". In: Hamburger Rundschau, 17.1.1986.
  • Doris Dörrie und ihr Erfolgsfilm MÄNNER. In: Der Spiegel, Nr. 7, 10.2.1986.
  • Siegfried Diehl: Doris Dörrie. Die Frau hinter den "Männern". In: FAZ-Magazin, Nr. 314, 7.3.1986.
  • Frauke Hanck: Die Dialoge sind authentisch. In: Der Tagesspiegel, 11.5.1986. (Gespräch).
  • David Edelstein: Testerone Poisoning. und Karyn Kodner: Doris Dörrie: Man Handling. In: The Village Voice, 5.8.1986.
  • Hellmuth Karasek: Deutscher Film: Auf dem Sprung nach Hollywood. und "Oh, whow, eine Bratwurst!". In: Der Spiegel, Nr. 45, 3.11.1986, S. 234-251. (Essay, Interview)
  • Vivian Naefe: Regisseurin Doris Dörrie. Hals über Kopf in Männergeschichten. In: Cosmopolitan, Nr. 3, 1986, S. 76-83.
  • Marcia Pally: Open Dörrie. In: Film Comment, vol. 22, Nr. 5. September-Oktober 1986, S. 42-45.
  • Danielle Krüger: "Mich interessieren gespaltene Charaktere". In: Spektrum Film, Nr. 11, 1986, S. 6-7. (Interview).
  • Jens Jessen: Wie Kaiserfalter dem Licht entgegen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.1987.
  • Barbara Quart: Doris Dörrie. In: B.Q.: Women Directors. New York: Praeger Publishers 1988, S. 128-135.
  • Carole Angier: Monitoring conformity: The career of Doris Dörrie. In: Sight & Sound, Nr. 6, Oktober 1991; auch in: Pam Cook, Philip Dodd (Hg.): Women and Film: a Sight and Sound Reader. London: Scarlet Press 1993, S. 204-209.
  • Renate Fischetti: Erfolgskino der achtziger Jahre - Doris Dörrie. In: R.F.: Das neue Kino - Acht Porträts von deutschen Regisseurinnen. Dülmen-Hiddingsel, Frankfurt: tende 1992, S. 239-267.
  • Doja Hacker: "Erfolg ist eine Wolke". Doris Dörrie und ihr neues Buch "Bin ich schön?". In: Der Spiegel, Nr. 11, 14.3.1994.
  • Kirsten Martins: Zwischen den Stühlen zu Hause. In: Zeit-Magazin, Nr. 47, 18.11.1994, S. 10-14.
  • Katja Nicodemus: Thanatussi. In: Die Tageszeitung, 12.1.1995.
  • Andreas Kilb: Vom großen und vom kleinen Tod. In: Die Zeit, 13.1.1995.
  • Mathias Heybrock: Love in Germany: Die (Kino-)Geschichten der Doris Dörrie. In: epd Film, Nr. 9, September 1997, S. 24-26.