FILMtext. Drehbücher klassischer deutscher Filme
Das Wachsfigurenkabinett. Drehbuch von Henrik Galeen zu Paul Lenis Film von 1923



Allein die seelische Gestaltung durch das Bild ...

Paul Leni und Ernst Stern über ihr Metier

Eduard Jawitz: Malerei, Architektur, Plastik und Kunstgewerbe im Film. Eine Rundfrage über dekorative Probleme. In: Film-Kurier, Nr. 33, 7.2.1924.


Eins ist der Film zunächst: Bild! Ohne den Maler, den Architekten, ist er auch nicht Bild, sondern etwas anderes. (Man ahnt: was!!) Ausgenommen zweieinhalb Filmdichter gibt es die guten Literaten, die schuld sein sollen, daß man den Film in weiteren Kreisen nicht Kunst nennt: woraus manche schließen, daß die schlechten Literaten die guten Filme machen, was falsch ist.

Wahr ist, daß ein malerisch empfundenes Manuskript (gedreht) eine geschlossene Synthese zu sein hat. Eine visuell gegebene Handlung, die den Maler und Architekten künstlerisch auslöste. Deshalb sind zu hören: der Maler, der Architekt, auch der Plastiker und es ist (endlich!) jene Seite des Films als wesentlich zu bezeichnen, die eine seiner wesentlichsten ist.

Die vorliegende Rundfrage erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Daß einer übergangen ist, bedeutet keineswegs, daß er weniger »berühmt«, nicht einmal, daß er weniger bedeutend ist, als ein hier genannter Name. Das Problemgebiet war weit, mußte sparsam ausdisponiert werden. Nur je ein hervorragender Vertreter konnte über je ein Kapitel interviewt werden.

Paul Leni sagt:

Allein die seelische Gestaltung durch das Bild ist filmisch-künstlerischer Ausdruck. Das Filmbild ist Wiedergabe eines Erlebnisses, das Menschen durchschwingt. Eine Straße in Paris ist ihm nicht eine Straße aus Paris, sondern malerisch-seelischer Ausdruck von Menschen, die eben gerade »Paris« erleben. So gebiert immer die jeweilige Handlung eine jeweiligen Stil, und es kann Richtungen, wie in reiner Malerei, für das Filmbild nicht geben. Die jeweilige Handlung hat, ausgedeutet, eine einheitliche Schöpfung zu sein und die Trennung zwischen Dichter, Regisseur, Maler, sei sie auch technisch zumeist notwendig, ist künstlerisch unmöglich. Er macht den Film des Malers: Das Wachsfigurenkabinett. Ist der Einklang des malerischen Empfindens in die Inspiration, also der Ausdruck handelnder Menschen durch deren Umgebung ausgedrückt, so ist Kunst entstanden. Und hierin ist der Film für den Maler schlechthin unbegrenzt.

Statt eines einzigen Bildes fünfzig, sechzig machen, Leben zerlegen, bis noch das Wegwerfen eines Streichholzes seelisch-malerische Symbolhandlung wird, das ist Filmkunst! Wie der Dichter im Film malerisch sehen muß, so muß der Maler dichterisch empfinden. Es gibt nicht Rücksichten auf ein Milieu, jedes Milieu ist nichts anderes als Ausdruck von Menschen, die sich in ihm bewegen.

Das Theater kann vor einfachem, schwarzen Vorhang spielen, hier tönt alles das Wort. Der Film braucht Hintergründe; Aspekte, die Schauplätze werden, Seelenschauplätze!

Wenn der Maler sein Letztes gegeben hat, erscheint eine junge Kritik, die einen Greco nicht von einem Goya unterscheiden kann, und schreibt über Malerei. Aber auch das ist noch übertrieben. Denn sie schreibt überhaupt nicht. Sie schreibt, das Manuskript war schlecht, die Regie war gut, die Photographie sogar sehr gut, bei der Malerei macht sie nicht einmal ... Punkte! Selbstverständlich ist der Ansporn, auch künftig sein Bestes zu geben, dadurch für den Maler ungeheuer und der Film wird, wenn es so weiter geht, dahin gebracht, wohin ihn das Unterbewußtsein jener absolut unvisuell empfindenden jungen Leute vielleicht gar nicht einmal wünscht, nämlich jenseits von Kunst und mitnichten diesseits von Geschäft!

Professor Ernst Stern sieht es so:

Weil es nicht filmwirksame oder unwirksame Farben gibt, hingegen viele Vorurteile von Operateuren und Regisseuren, hat Stern im WACHSFIGURENKABINETT (das er gemeinsam mit Leni machte) die Kostüme gelb oder blau getönt und es überstrahlt nicht, sofern nur der Operateur richtig beleuchtet. Der Film bietet ungleich kompliziertere Lösungen in Beleuchtung und Farbe als die Bühne. Stern verdankt ihm in allem viel. Dem Theater fehlen heute die Geldmittel, jedwedes zu versuchen. So ging Stern zum Film. Die Natur bezeichnet er als Hindernis und will möglichst alles im Atelier bauen. Denn die Freiaufnahme mit der Atelieraufnahme gemischt, ergebe eine schlechte Bildwirkung. Das Objektiv muß durch Malerei getäuscht werden! Noch ist ja alles viel zu literarisch und bühnenmäßig. Eins aber dankt man dem Film: die Sicherheit in bezug auf das Formale der Architektur, die ganz präzise Sicherheit, den Kern des Architektonischen auszudrücken. Soll der Bau eine Idee interpretieren, so sind die Baustile mit unsäglicher Sorgfalt durchzuführen. Es wird jedes Bild einprägsam sein, sofern der Filmbau seinen Kern adäquat wiedergibt. Das Manuskript sollte gemeinsam mit dem Maler geschrieben werden, denn nur wenn Maler, Dichter und Regisseur von vornherein verwachsen, kann Kunst im Film entstehen.

Das dekorative Element beim Film und bei der Bühne sieht er (in Relation zueinander) etwa wie das Verhältnis einer Kohlenzeichnung oder Radierung zu einem Ölbild. Die Bühne vernachlässigt in letzter Zeit Kostüm und Maske, weil die jungen Schauspieler innerlich es ablehnen, sich damit zu beschäftigen. Reinhardt hat einmal gesagt, seit der Schauspieler Steuern zahle und nicht mehr den ganzen Tag sich als König fühle, sei es mit dem Theater abwärts gegangen. Das in-die-Maske-kriechen ist ein seelisches Moment. Der Film wird im Schauspieler wieder Lust an Kostüm und Maske erzeugen. Noch wird aber dem Kostüm zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Für jeden Film sind neue Kostüme nötig und der Einklang von Bau und Kostüm ist ernste Voraussetzung, gestaltet die eigene, ganz besondere Atmosphäre wie in jedem guten Bühnenstück. Stern inszenierte den Mikado in Skandinavien (übrigens mit einem nur mittelmäßigen Ensemble) und erreichte Vollkommenes, weil er Regisseur und Ausstatter zugleich sein konnte. Die Figurine ist nur ein Notbehelf, sie kann nur andeuten. Im Spiel erst stimmt sich das Kostüm auf das Fluidum des Darstellers.


Das Wachsfigurenkabinett; Andere Bände der Reihe