Als die Bilder singen lernten. Materialien zum 11. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 5. - 8. November 1998.

Schallplatte, Tonfilm und Kino

von H.W-g. (=Hans Wollenberg)

in: Film und Ton (Wochenbeiblatt der Licht-Bildbühne), 26.4.1930


Warner Brothers, deren historische Leistung als Wegbereiter des Tonfilms in Amerika feststeht, haben die Grammophon- und Radio-Abteilung des international bekannten Brunswick-Konzerns übernommen. Die immer engere Verschweißung des gesamten Unterhaltungsgeschäftes auf mechanischem Wege läßt sich durch nichts deutlicher kennzeichnen. Sie ist in diesen Blättern laufend mit der Aufmerksamkeit verfolgt worden, die ihr zukommt, wenn der Leser über die vorauszusehenden wirtschaftlich-künstlerischen Entwicklungen richtig orientiert sein will.

In Deutschland finden wir die Zusammenfassung Tonfilmm-Schallplatte am sinnfälligsten im Küchenmeister-Konzern (Tobis-Ultraphon) verwirklicht. Zu so umfassenden Zusammenballungen wie bei Warner Brothers, wo nunmehr die Geschäftsinteressen vom Kinobetrieb und der Filmproduktion bis zum Sprechapparat und der Schallplatte reichen, ist es bei uns noch nicht gekommen. Immerhin sind Ansätze vorhanden, die durchaus im Zuge einer natürlichen, bei uns noch im Anfang befindlichen Entwicklung liegen.

Auf der einen Seite geht diese Entwick-lung von der Schallplatten-Industrie aus. Die maßgebenden Firmen haben ihr Interesse nacheinander immer stärker dem Lichtspielhaus und der mechanischen Filmillustration zugewandt. Wo noch nicht im deutschen Kino der eigentliche Tonfilm läuft, sorgt man für technischen Fortschritt durch Platten-Apparaturen, die das lebende Orchester ersetzen und an die Stelle einer oft sehr unvollkommenen Musik etwas Besseres stellen.

Auf diesem Wege dringt denn auch die amerikanische Tonfilmmusik, der die deutschen Kinos aus den bekannten patentrechtlichen Gründen überwiegend verschlossen sind, herein. Man lernt eine unendliche Fülle amerikanischer Tonfilmmusik auf dem Umweg über die Schallplatte kennen, all die Schlager der großen Fox-, Metro- und RKO-Revuen usw., die sich die übrige Welt erobert haben und nun auch für das Musik-Repertoire unserer Lichtspielhäuser eine wertvolle Bereicherung bilden: Die Zahl ist zu groß, um einzelne Nummern aufzuführen, aber sie bieten ganz fraglos starke musikalische Impulse. Nur eine Schallplatte möchten wir aus der Menge des Guten nennen: Die von der Electrola-Gesellschaft herausgebrachte große Platte, die auf der einen Seite einen musikalischen Querschnitt durch Laemmles SHOW BOAT, auf der anderen Seite den wundervoll gesungenen Hauptschlager dieser Tonfilm-Operette »Ol' man river« bringt. Ein Prachtstück.

Auf der anderen Seite aber macht die Platte nicht nur Schritt für den Tonfilm, sondern spielt umgekehrt auch die Tonfilmmusik für die Schallplatten-Produktion eine hervorragenden Rolle. Schon beherrschen die bekannten Schlager unserer deutschen Tonfilme die Schallplatten-Programme in wachsendem Maße, und bedeuten für die Schallplattenhersteller ein wesentliches Arbeitsgebiet. Die Zugkraft des Tonfilms ist hier von ausschlaggebender Wirkung auf das Plattengeschäft. Wer etwa den Electrola-Katalog der beiden letzten Monate März und April sichtet, ist überrascht,, welch maßgebenden Platz darin die Nummern aus Tonfilmen einnehmen. Hier seien die beiden Electrola-Platten besonders genannt, die die aparten Songs Friedrich Hollaenders aus dem Ufa-Tonfilm »Der Blaue Engel« in den Originalaufnahmen mit Marlene Dietrich bringen, deren eigener, prickelnder Reiz in vollendeter Wiedergabe herauskommt. Und ebenso sei wegen ihrer frischen Rhythmik und wirksamen Musikalität die »Grammophon«-Platte aus der Serie »Polyphar R« verzeichnet, die den Titelschlager des Allianz-Orplid-Messtro-Films HEUTE NACHT - EVENTUELL und den Tango aus demselben Film (beide Stolz-Rotter) bringt.

Die gegenseitige Befruchtung der Tonfilm- und der Schallplattenindustrie drängt zwangsläufig zu immer engerer Konzentrierung auch in Deutschland. Hierzu dürfte bald wieder Wichtiges zu sagen sein.


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