Als die Bilder singen lernten. Materialien zum 11. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 5. - 8. November 1998.
Werner R. Heymann
Musik und Bild als einheitliches Kunstwerk
in: Film und Ton (Wochenbeilage der Licht-Bildbühne), Nr. 47, 22.11.1930.
Richard Wagner, einer der kühnsten, größten Führer im Reiche der Musik, sprach die Mahnung aus: »Kinder, schafft Neues und abermals Neues! Hängt Ihr Euch an das Alte, so holt Euch der Teufel der Unproduktivität und Ihr seid die traurigsten Künstler!« Und auch die Forderung stammt von diesem musikalischen Heros: »Mich dünkt, soll passen Ton und Wort.« In den »Meistersingern« steht es und aller Singer Meister, Hans Sachs, erhebt das alte Gesetz zu einem neuen Postulat.
Beides gilt auch für die Kunstform des Tonfilms, insbesondere des musikalischen Tonfilms. Im stummen Film war die Musik von sekundärer Bedeutung. Sie war nur Untermalung, Begleitung, nicht einmal immer Illustration. War die Untermalung nicht gut, so vermochte sie einem hervorragenden stummen Film nichts von seiner bildhaft-dramatischen Qualität zu nehmen. War die Musik hingegen gut und der stumme Film schlecht, so wurde dieser durch jene kaum erträglicher.
Ganz anders liegen die Verhältnisse im Tonfilm. Zu dem Bewegungsvorgang der Bilderfolgen tritt der Ton als selbständiges und dramatisch bewegendes, spannendes und lösendes Element. Im Tonfilm und ganz besonders im musikalischen Tonfilm verlangt wieder jenes alte Meistersinger-Gesetz in neuer Variante ernsteste Beachtung: »Soll passen Ton und Bild.« Nicht immer ist diese Bindung von den Schöpfern im Bereich der neuesten Kunstform, dieser Kunstform unserer Epoche, im Tonfilm, klar erkannt worden, selten wurde man ihr gerecht. Aber es gibt noch einige wenige Tonfilm-Komponisten, die schon von Anbeginn ihres Schaffens sich klar waren darüber, daß dieses zeitgemäßeste, künstlerische Ausdrucksmittel eigene Gesetze habe, die alles das, was bisher als unverletzlich gelten konnte, im Bereich des Theaters und der Musik, sich unterordneten. So sagt Werner Richard Heymann, der Komponist der ersten Tonfilm-Operetten ganz offen: »Es war doch völlig neues Land, in das ich meinen Einzug hielt, als ich zum ersten Ufa-Tonfilm MELODIE DES HERZENS die Musik schrieb. Damals habe ich zu einem Film Musik geschrieben. Ich glaubte, die Musik sei das Primäre. Aber ich wurde bald zu der Erkenntnis geführt, daß ich irrte. Und so beugte ich mich ein wenig unter die Bindungen technisch-mechanischer Herkunft, die im Reich des Tonfilms herrschen und schrieb im LIEBESWALZER meine Melodien. Auch das war noch nicht genug. Nur der sich ganz beugt, vermag ganz zu herrschen und so tat ich dann den letzten Schritt: Ich opferte alte geheiligte musikalische Traditionen, erhob die Musik aber gleichzeitig wieder auf ihren Herrscherthron, in dem ich mit einem Film Musik machte, das heißt, versuchte den Rhythmus der bildhaften Bewegungs-Vorgänge musikalisch zu erfassen und zu durchdringen. Denn das ist das letzte Ziel der Tonfilmkunst, Ton - also auch Musik - und Bild zu einer organischen Einheit untrennbar zu verknüpfen. So suche ich das festgesteckte Ziel, das anscheinend heute noch unerreichbar ist, und dennoch eines Tages errungen sein wird: Das Tonfilm-Musik-Drama.
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