FILMText. Drehbücher klassischer deutscher Filme
Kameradschaft. Drehbuch von Vajda / Otten / Lampel zu G. W. Pabsts Film von 1931
Editorische Vorbemerkung
Helga Belach und Hans-Michael Bock
Mit diesem Drehbuch zu G. W. Pabsts Film KAMERADSCHAFT / LA TRAGÉDIE DE LA MINE, das Ladislaus Vajda, Karl Otten und Peter Martin Lampel 1931 nach einer Idee von Karl Otten verfaßt haben, ist der vierte Band der Reihe FILMtext, die originale Drehbücher aus dem Archiv der Stiftung Deutsche Kinemathek einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Diesmal stand außer dem dort erhaltenen Arbeitsexemplar aus dem Nachlaß von Pabsts Assistenten Herbert Rappaport auch das bei den Dreharbeiten benutzte Exemplar des Regisseurs mit dessen handschriftlichen Notizen zur Verfügung, das Gertrud Pabst mit anderen Unterlagen dem Filmmuseum im Stadtmuseum München übergeben hatte. Wir danken dessen Leiter, Prof. Dr. Jan-Christopher Horak, daß er es uns - neben zahlreichen Fotos und anderen Materialien - zur Verfügung gestellt hat. In den Kommentartexten wird darauf als "Regiebuch" (als Unterscheidung zum "Drehbuch") verwiesen.
Angesprochen mit dieser Publikation sind sowohl Filmhistoriker, die sich mit einem lange vernachlässigten Aspekt der Filmproduktion befassen - dem Verhältnis zwischen Autor und Regisseur, Schreiben und Inszenieren -, als auch belletristisch interessierte Leser, die eingeladen sind, Drehbücher als literarische Texte zu entdecken.
Dies Buch erscheint zudem aus Anlaß einer Retrospektive der Filme von G. W. Pabst, die von der Stiftung Deutsche Kinemathek für die Internationalen Filmfestspiele Berlin 1997 ausgerichtet wird. Es liefert damit - neben einer umfangreichen Monografie, an der auch die Herausgeber und Autoren dieses Buches beteiligt waren - Stoff, um eine eingehende Diskussion über einen, wenn nicht den bedeutendsten Filmregisseur des Weimarer Kinos und besonders des frühen Tonfilms in Deutschland weiter anzuregen.
Im Gegensatz zu den anderen Regisseuren des deutschen Stummfilm-Pantheons - Lubitsch, Murnau, Lang - ist der Zugang zu Pabsts Werk bislang durch eine turbulente Rezeptionsgeschichte verstellt. Pabst kam relativ spät zum Film: Er war bereits 37 Jahre alt, als er Anfang 1923 mit DER SCHATZ als Regisseur debütierte. Die bedeutendsten seiner Stummfilme sind nur in verstümmelten Fassungen, die auf wiederholte Zensur-Eingriffe in Deutschland und im Ausland zurückgehen, überliefert. Ebenso wie seine anderen frühen Tonfilme - WESTFRONT 1918 und DIE 3-GROSCHEN-OPER, die von der Nazi-Zensur verboten wurden, verschwand KAMERADSCHAFT aus den deutschen Kinos. Von diesem Film existiert (soweit zur Zeit bekannt) keine einzige Kopie der deutschen Original-Fassung. Pabst wurde in der Endphase der Weimarer Republik wegen seiner pazifistischen und frankreichfreundlichen Haltung als "roter Pabst" verschriehen und von der radikalen Rechten heftig angegriffen. Zeitweise waren seine Filme in Frankreich und England populärer als in Deutschland. Nach Hitlers Machtantritt blieb Pabst in Frankreich und arbeitete dort - mit Unterbrechung durch einen für ihn enttäuschenden Ausflug nach Hollywood - bis 1939. Durch eine Verknüpfung unglücklicher Umstände überraschte ihn der Kriegsausbruch in seiner heimatlichen Steiermark bei den letzten Vorbereitungen der Übersiedlung nach Amerika. Pabst arrangierte sich - stets von Spitzeln des SD und der SS überwacht - mit den von ihm verabscheuten Machthabern und drehte drei Filme in Deutschland. Das brachte ihm bei seinen früheren Freunden im Ausland den Vorwurf der Kollaboration ein und überschattete die Rezeption seines schwachen Spätwerks, das nach dem Kriege in Österreich, Italien und der Bundesrepublik Deutschland entstand - aber auch rückwirkend die Einschätzung seiner stummen und tönenden Meisterwerke.
Dem Anlaß angemessen, ist der editorische Apparat dieser Ausgabe auch umfangreicher als bei den bisherigen Ausgaben. Neben Karl Ottens, dem Film zugrundliegenden Exposé, gibt Hermann Barth, der sich bereits in seiner Dissertation intensiv mit dem Film auseinandergesetzt hat, eine detaillierte Darstellung der Drehbuch-Entwicklung und der unterschiedlichen Einflüsse, die sich bis in die Dreharbeiten hinein auf die Gestaltung auswirkten. Einem in der Pabst-Literatur bislang nicht bekannt gewordenen Einfluß, nämlich durch die Dramatikerin Anna Gmeyner, geht Heike Klapdor nach. Schließlich geben Helga Belach und Wolfgang Jacobsen, die durch ihre Arbeit an der Pabst-Monografie einen intensiven Einblick in die zeitgenössische Rezeption gewonnen haben, ein Panorama der Presse-Resonanz, belegt durch Auszüge aus Kritiken, die das breite Spektrum der Filmpresse gegen Ende der Weimarer Republik widerspiegeln.
Hingewiesen sei noch auf die Zweisprachigkeit des Films: Die Darsteller sprechen in der deutschen wie der französischen Fassung (es sind keine Versionen!) in ihrer eigenen Muttersprache. Dies ist im Dreh- wie im Regiebuch nur angedeutet. Die Dialoge der französischen Rollen wurden wurden für den Film von Léon Werth bearbeitet.
Auch bei dieser Publikation handelt es sich, wie im Vorwort zu DAS WACHSFIGURENKABINETT erläutert, um keine historisch-kritische Edition, sondern um eine möglichst vorlagengetreue Leseausgabe.
Die Textfassung folgt in der Regel dem Typoskript. Es wurden einige formale Angleichungen vorgenommen. Orthografische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Es wurde also nicht versucht, zu "glätten", sondern nur eingegriffen, wenn man vermuten konnte, daß die Fehler auf Flüchtigkeiten oder Mißverständnissen bei der Niederschrift beziehungsweise Vervielfältigung beruhen. Da in diesem Fall auch das Regiebuch vorlag, wurden die dort enthaltenen handschriftlichen Veränderungen durch Pabst und einige (nicht identifizierte) Mitarbeiter dokumentiert.
Für Hinweise und Unterstützung bei den Recherchen danken wir Yvonne Rehhahn und Jeanpaul Goergen. Besonderer Dank gilt Ellen Otten in Minusio, Harold Nebenzal in Beverly Hills und Martin Hellstern, Praesens-Film, in Zürich, die ihre Zustimmung zum Abdruck gegeben haben.
Kameradschaft; Andere Bände der Reihe