FILMText. Drehbücher klassischer deutscher Filme
Kameradschaft. Drehbuch von Vajda / Otten / Lampel zu G. W. Pabsts Film von 1931
Die Autoren des Drehbuchs
Erstaunlich ist, daß in allen Kritiken die Autorenschaft des Films so gut wie gar nicht beachtet wird. Dabei stammt die Idee zum Film nicht von Pabst, sondern von dem Schriftsteller Karl Otten, geboren 1889 in der Nähe von Aachen, gestorben 1963 in der Schweiz. Otten hatte in München, Bonn und Straßburg Kunstgeschichte und Soziologie studiert, unter anderem mit Johannes R. Becher 1913/14 die Zeitschrift "Die Neue Kunst" herausgegeben, war Mitarbeiter von Franz Pfemferts "Die Aktion" und der Münchner Zeitschrift "Revolution" und mußte während des Ersten Weltkriegs eine Gefängnisstrafe wegen seiner antimilitaristischen Opposition verbüßen. Er war als expressionistischer Lyriker und Erzähler bekannt geworden, später auch als Protagonist formstrenger Gedankenlyrik. Von 1924 bis 1933 lebte er als freier Schriftsteller in Berlin. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte er über Spanien nach Großbritannien und zog, seit 1944 erblindet, 1958 in die Schweiz. Seine Bücher waren in Nazi-Deutschland verboten, und man entzog ihm 1936 die deutsche Staatsbürgerschaft.
Otten hatte sich 1931 an einem Wettbewerb des Comité International pour la Diffusion Artistique et Littéraire par le Cinématographe (C.I.D.A.L.C.) - des Völkerbund-Komitees für die Annäherung der Völker durch den Film - mit einem Exposé beteiligt, das den "Widersinn der Grenzen in Europa" zeigen sollte. Aus 108 Einsendungen aus ganz Deutschland wurde Ottens Exposé zusammen mit drei weiteren (darunter Victor Trivas' NIEMANDSLAND) vom deutschen Ausschuß in die engste Wahl gezogen. 1931 publizierte Otten mit "Der schwarze Napoleon: Toussaint Louverture und der Negeraufstand auf San Domingo" einen Stoff, den zu verfilmen Pabst sehr gereizt hat, wie Jean Vidal in einer Reportage über die Dreharbeiten zu KAMERADSCHAFT berichtet.
Co-Autor Ottens war Peter Martin Lampel (eigentlich Joachim Friedrich Martin), der in Kürschners "Deutschem Literatur Kalender 1930" als "Schilderer der Gegenwart" bezeichnet wird. 1894 in der Nähe von Liegnitz (Legnica), Schlesien, geboren, diente Lampel während des Ersten Weltkriegs als Offizier bei der Luftwaffe. Enge Beziehungen unterhielt er zur Jugendbewegung und verdiente sich nach einem Studium in Breslau, Berlin und München, dort vor allem an der Akademie der Bildenden Künste, wo er als Schüler von Peter von Halm und Carl von Marr Malerei studierte, seinen Lebensunterhalt als Sportlehrer, Maler, Jugendhelfer, Journalist und freier Autor. Während seine ersten Erzählungen und Romane noch von den Kriegserfahrungen bestimmt waren - unter anderem "Bombenflieger. Luftabenteuerliche Geschichten" (1918); "Wie Leutnant Jürgens Stellung suchte" (1920) - wurde er bekannt als sozial engagierter Autor von Sujets zu Jugendproblemen, etwa: "Jungen in Not. Berichte von Fürsorgezöglingen" (1928) und vor allem durch das Schauspiel "Revolte im Erziehungshaus" (1929), das im gleichen Jahr noch von Georg Asagaroff verfilmt wurde. 1930/31 engagierte er sich für den Aufbau eines Arbeitsdienstes, schrieb das Stück "Alarm im Arbeitslager", das 1932 uraufgeführt, 1933 aber - wie andere Bücher Lampels auch - verboten wurde. Auch als Maler durfte er nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten nicht mehr ausstellen. 1936 wurde Lampel verhaftet und emigrierte nach seiner Entlassung im gleichen Jahr über die Schweiz, Österreich und Jugoslawien zunächst nach Java, Bali und Indonesien, 1938 nach Australien und 1939 dann in die USA, wo er sich mit verschiedenen Jobs über Wasser hielt. 1949 kehrte er in die Bundesrepublik zurück, wo er erneut mit dem Schreiben begann, unter anderem von Jugendbüchern. Lampel, der für Pabst auch als Autor für WESTFRONT 1918 tätig war, starb 1965 in Hamburg.
Als Mitautor des Films - neben Anna Gmeyner und Herbert Rappaport, die im Vorspann nicht genannt werden - zeichnet auch der ungarische Autor Ladislaus (László) Vajda, 1878 in Budapest geboren und 1933 in Berlin gestorben, dessen Lebensdaten und Werk sich in den meisten Lexika, wenn sie ihn überhaupt verzeichnen, auf kuriose und verwirrende Weise mit denen seines Sohnes, des überwiegend in Spanien tätigen Filmregisseurs Ladislao (László) Vajda (1904-1965) vermischen. Vajda begann seine Karriere als Theaterschauspieler und Journalist in Ungarn. Ab 1908 war er als freier Regisseur am Magyar Színház (Ungarisches Theater) engagiert, ab 1913 in einem festen Engagement, ab 1920 als Künstlerischer Leiter des Theaters tätig. Neben seiner Theaterarbeit - unter anderem trat er auch mit eigenen Stücken hervor - war er als Dramaturg und Drehbuchautor bei den Corvin-Studios verpflichtet und arbeitete dort mit Sándor (später: Alexander) Korda zusammen. 1919, zur Zeit der Ungarischen Räterepublik, gehörte er als Vertreter der Dramaturgen dem Filmrat an. Nach der Niederschlagung der Räterepublik flüchtete Vajda, vom Horty-Regime verfolgt, Ende 1922 zunächst nach Wien, dann nach Berlin. Er reüssierte als Drehbuchautor vorwiegend leichter Unterhaltungsstoffe für Filme von Robert Land, Felix Basch, Hanns Schwarz, Kurt Bernhardt und anderen. Vajda gehörte zu den engeren Mitarbeitern Pabsts und war neben KAMERADSCHAFT Autor beziehungsweise Co-Autor der Filme DIE LIEBE DER JEANNE NEY, ABWEGE, DIE BÜCHSE DER PANDORA, DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ, WESTFRONT 1918, DIE 3-GROSCHEN-OPER und DIE HERRIN VON ATLANTIS.
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